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Tag 7 - Fährmann hol über

Tag 8 - Zurück in die Heimat
 

Es war noch stockfinstere Nacht, als wir an diesem Freitag aufstanden. Irgendwas kurz nach drei Uhr morgens. Ich hatte kaum geschlafen, war aber sofort munter. Rupert und Ulrich, die beiden notorischen Frühaufsteher, machten sich bereit für die Rückfahrt. Ich packte ebenfalls meine Sachen zusammen. Meine weißen T-Shirts, die in der Wüste zu braunen mutiert waren, lagen frisch gewaschen für mich bereit. Alle waren abfahrbereit - nur unser Fahrer mit dem Wagen fehlte noch...  
  Sultan wurde ein wenig ungeduldig. Wir mussten unseren Zeitplan schaffen - eigentlich war die Fähre über den Pjandsch, die wir an diesem Tag nehmen wollten, geschlossen  - zumindest für PKW. Mit einer Ausnahmegenehmigung sollen wir aber trotzdem passieren dürfen. Nach langem Warten kam Abdul dann endlich mit dem Wagen. Wir verabschiedeten uns von unseren Gastgebern. Ein bisschen Wehmut machte sich bei mir breit - in den wenigen Tagen, die wir hier waren, hatte ich Land und Leute ins Herz geschlossen.
Unsere Rückfahrt wurde ein wenig beengter, da wir nur noch mit einem Wagen, dafür aber zu fünft fuhren. So teilte ich mir mit Rupert und Ulrich die Rückbank des Wagens. Am Ortsausgang von Mazar dann der erste Stop - Sultan hupte den Tankwärter einer kleinen Tankstelle wach und ließ den Wagen volltanken. Dann ging es auf die Asphaltstraße nach Kabul - mit 120 km/h durch die stockfinstere Nacht. An der Kreuzung nach Termez, einem LKW-Rastpunkt, dann der nächste Halt. Sultan wollte noch Wasser kaufen. Aber alle Shops waren geschlossen.  
  Wir fuhren weiter durch wilde Landschaft Afghanistans. Die Sonne stieg langsam am Horizont hinter den Bergen empor und tauchte die weiten Ebenen um uns herum in ein Meer aus rotbraunen Pastelltönen. Friedlich lag das Land um uns. Obwohl ich noch müde war - an Schlaf dachte ich nicht. Zu schön war der Augenblick, um ihn zu verschlafen. Wann würde ich wohl das nächste Mal hierher zurückkehren? Auch Rupert und Ulrich saßen gedankenversunken da oder notierten ihre Erinnerungen.
Mit der aufgehenden Sonne nahm auch der Verkehr auf den Straßen wieder zu. LKW quälten sich über die noch halbwegs leere Straße, Pickups übervoll mit hoffnungsvollen Menschen fuhren durch den Morgen. Es war kurz vor sechs Uhr und dieses Land war schon hell wach. In Leipzig konnte ich um acht Uhr noch durch die Innenstadt laufen und kaum einem Menschen begegnen. Sultan schlief die Nacht ein wenig nach während Abdul uns rasant aber sicher in Richtung Heimat lenkte.  
  Auf den Feldern neben der Straße hatten die Bauern ihre Tagewerk schon längst begonnen. Jetzt am Morgen war es noch angenehm kühl. Aber bereits die frühen Strahlen der Sonnne versprachen wieder einen heißen Tag. Die Bauern würden bis in den Vormittag hinein arbeiten. Mittags, wenn die Sonne unerbittlich brannte, suchten die Menschen einfach Schutz und Ruhe, um mit neuer Kraft am Nachittag ihr Tagewerk zu vollenden. Wir bekamen langsam Hunger - schließlich waren unsere Mägen noch leer.
An einem verunglückten LKW am Straßenrand hielt Abdul dann auf Anweisung Sultans an. Er brauche noch eine Dünger-Probe meinte er und war schon aus dem Wagen. An einem der entladenen Säcke entnahm er einen kleinen Beutel, unterhielt sich kurz mit dem Fahrer und war schon wieder im Wagen. Die Probe sei für einen Geschäftspartner in Duschanbe. Sultan konnte aus allem ein Geschäft machen - warum nicht auch aus afghanischem Dünger, der über die Grenze nach Tadschikistan gebracht wurde? Er würde die Widrigkeiten dieser Grenze schon überwinden...  
  In der Ferne wurde die afghanische Version eines Truck-Stop sichtbar. Wir waren in Rabotak, einem kleinen Dorf kurz vor unserem Abzweig nach Kunduz. Es war kurz nach sechs, aber die LKW-Fahrer waren fast alle schon auf den Beinen und beim Frühstücken. Wir fuhren vor einem langen und flachen Lehmgebäude vor und hielten. Sultan rief dem Inhaber etwas zu und kurz darauf herrschte rege Betriebsamkeit. Das Essen wurde vorbereitet, Tee gekocht und für die Ankömmlinge aus einem fernen Land wurde ein Platz freigeräumt.
Neugierig beäugten uns die Afghanen. Rupert suchte in seinem Koffer noch nach ein paar Dingen und Sultan ließ derweil den kaputten Reserverreifen von der Hintour reparieren. Zwar war er zwischendurch nicht müde geworden zu betonen, dass wir den ja nicht bräuchten, aber dann ging er doch lieber auf Nummer sicher. Und so machte sich der Automechaniker der kleinen Werkstatt mit einer Spitzhacke daran, unseren Reifen zu flicken. Das Holzkohlefeuer brannte mittlerweile ordentlich.  
  Die afghanischen Grills sind lustig anzuschauen. Lange Kästen, hin denen Holz erst in wenigen Minuten zu guter Glut verarbeitet wird. Mit einem großen Fächer wird der Vorgang unterstützt. Ist die Glut ok kommen die Schaschlik, leckere Fleischspieße. Da der Grill so schmal ist, benötigt man auch keinen Rost. Die Schaschlik werden einfach quer darüber gelegt. Der Duft von frisch gebratenem Fleisch zog über die Veranda. Mein Magen sagte mir, dass er jetzt sehr großen Hunger habe...
Das Tempo der Afghanen war beeindruckend. Wird waren gerade erst einmal zehn Minuten hier, und schon stand das Essen vor uns auf dem Tisch. Lecker dufteten die Fleischspieße, der schwarze Tee dampfte und das Frühstück konnte beginnen. Ulrich meinte nur, in Deutschland hätten wir nach zehn Minuten um kurz nach sechs noch nicht einmal die Karte bekommen. In Sachen Service könne Deutschland noch eine Menge von Afghanistan lernen. Wir ließen uns dieses letzte Essen in Afghanistan munden.  
  Die Spieße waren wirklich lecker, sehr zartes Lammfleisch, dass in Deutschland jedem Gourmet-Tempel genügt hätte. Entweder knabberte man das Fleisch direkt von den Spießen, oder aber man zog es mit dem Fladenbrot ab und aß es dann so. Die Afghanen nebenan hatten ein einfacheres Mal - Fladenbrot, Jogurt und Honig. Aber selbst das war ein leckeres Frühstück. Ohne Konservierungsstoffe und künstliche Aromen - kurz: so wie Essen schmecken sollte.
Unser Reifen war immer noch in der Mache. Nachdem der Schlauch mit Hilfe der Hacke entfernt worden war, hatte der Mechaniker ihn von seinem Sohn im Wasserbad prüfen lassen. Dann ging er mit Nadel, Faden und Gummiflicken daran, unseren Reifen wieder funktionstüchtig zu machen. Wir staunten nur Bauklötzer. Aber nachdem auch noch ein zweites kleines Lock geflickt wurde, war der Reifen dicht. Wir zweifelten nicht daran, dass er auch im Notfall halten würde.  
  Als das Reserverad wieder verstaut war, ging es weiter nach Kunduz. Unterwegs schmiss Sultan einfach mal so eine Kassette aus dem Wagen, weil wir einen Scherz über die Musik gemacht hatten und er dachte,wir fänden sie schlecht. Im nächsten Ort wurde dann erst einmal Nachschub gekauft - unter anderem auch ein Komiker, von dessen Vorträgen wir nichts verstanden. Aber Sultans Lachen und das Lachen vom Band ließen die gute Stimmung überspringen - trotz der Schlaglochpiste nach Kunduz.
Wir überquerten wieder den Fluss mit der Autowaschanlage. Dieses mal hatten wir aber keine Zeit für ein Bad. Und so ging es dann auf die 60 Kilometer lange Schlaglochposte nach Kunduz. Unterwegs kamen wir an ein paar Kindern vorbei, die mit Schaufeln und Dreck die Löcher an einem Hang notdürftig flickten. Sie liefen dann neben jedem Wagen her, in der Hoffnung auf ein Bakschisch. Wir hielten uns aber nicht lange auf sondern rasten in Richtung Kunduz zum Außenministerium.  
  Bei unserem ersten Stop hatten wir nicht viel Zeit in der Stadt verbracht. Jetzt blieb ein wenig mehr, um sich einmal umzusehen. Immer noch wirkte der Ort wie eine große Ansammlung von Lehmhütten - aber langsam schälten sich Muster heraus. Seitenstraßen mit Bazaars aus Holzverschlägen, Handwerkerviertel, Wohnhäuser - und zwischendrin ein lebhaftes Straßenleben. Bunt geschmückte Pferdekutschen dominieren in Kunduz noch das Stadtbild. Indische Fahrräder rollen mit ihren afghanischen Fahrern durch die Stadt.
Noorullah Noorzad, der Vertreter des Außenministeriums, erwartete uns bereits in seinem Büro. Er hatte unsere Ausnahmegenehmigung schon vorbereitet und parat liegen. Wir fuhren aber trotzdem nicht gleich weiter, sondern setzten uns erst noch in den Schatten und unterhielten uns mit ihm über die Ergebnisse der Reise. Man merkte, dass ihm etwas daran lag, uns mit einem guten Eindruck seines Landes wieder nach Deutschland fliegen zu lassen. Kurz nach elf - die Sonne brannte heftigst - ging es dann weiter in Richtung Grenze.  
  Unterwegs ein Holzkarren mit Männern, die einen toten Gaul ziehen - ein riesiger Verlust für diese Menschen. Ein kurzes Foto. Noch eines. Dann kämpfen wir uns an Schlaglöchern und russischen Lastwagen vorbei in Richtung Tadschikistan. Kurz hinter der Stadt, die nun im Staub zurückbleibt, noch einmal ein kleiner Flusslauf. Kinder spielen im Wasser, plantschen, sind ausgelassen. Auf der anderen Seite der Brücke wird eine Schafherde durch den Fluss getrieben. Uns treibt der Terminplan weiter - bald ist es Mittag und die Grenze noch fern.
Dann ein weiterer Fluss, eine weitere Brücke. Eine lange Schlange von Fahrzeugen steht und wartet. Bauarbeiten. Die Afghanen warten geduldig. Sultan gibt Gas, fährt links an den Wartenden vorbei. Hupt die Bauarbeiter von ihrer Arbeit fort und bahnt uns Zentimeter für Zentimeter den Weg frei. Die wartenden Afghanen reagieren mit Unmut. Wild gestikulierend wird von allen Seiten auf unseren Wagen eingeredet. Ein Hauch von Hass weht über dem Wasser. Dann sind wir vorbei - noch einmal alles gut gegangen.  
  Rupert  meint nur, dass diese Art noch einmal Sultans Verhängnis würde. "That was not good Sultan." Dann Schweigen. Die letzte Vegetation weicht einer braunen Einöde. Sand, Sand, nichts als Sand. In der Ferne sind Kamele und Nomaden-Zelte zu sehen. Immer wieder Sanddünen, die teilweise die Straße blockieren. Nach zwanzig Kilometern dann wieder Zeichen von Leben - Kinder fegen die Straße, in der Hoffnung auf ein kleines Bakschisch.  Einige Lehmhütten kauern sich auf der Suche nach Schatten in kleine Senken. Wir müssen zur Fähre.
Hinter einer Düne kamen die Reste eines alten russischen Stützpunktes in Sichtweite - Einheitsbauten des russischen Imperiums, verlassen mitten in der Wüste. Wir fuhren durch eine halbe Geisterstadt. Kaum ein Mensch zu sehen. Dann endlich der Fluss. Grüne Ufer inmitten des Grau. Meine Augen suchten eine Fähre, aber außer einem rostigen Flusskahn am Ufer ist nichts zu sehen. Rupert hatte erzählt, die deutsche Entwicklungshilfe habe hier 800000 Euro investiert. Ich sehe nur einen Haufen Schrott.  
  Eigentlich ist die Fähre für Fahrzeuge an diesem Tag gesperrt. Aber wir haben eine Ausnahmegenehmigung. Sultan diskutiert mit den Arbeitern, dann senkt sich die seitliche Ladeluke und der Jeep rollt auf rostige Deck. Dann ein Tumult. Der Chef des Grenzpostens, ein Offizier mit Bakschisch-Bauch, stößt dazwischen. Das sei seine Fähre - eine heiße Diskussion mit Sultan entbrennt. Rupert, Ulrich, unser Fahrer und ich bleiben auf der Fähre. Sultan fährt mit dem Dicken noch einmal den Hang hinauf zur Grenzstation. "Formalitäten". Es geht nur um Geld.
Nach einer Viertelstunde ist Sultan wieder da. Knapp 100 Dollar hat er für die Überfahrt bezahlen müssen. Doch wir legen noch nicht ab. Der Dicke hat sein Bakschisch noch nicht. Er ist so dreist, es offen zu verlangen. Sultan bleibt stur. Die Passagiere werden ungeduldig. "He wants money. Give him money - we go", meint ein Tadschike neben mir. Sultan gibt ihm kein Geld. Der Dicke will unser offizielles Schreiben nicht akzeptieren. "Nicht aus Kabul." Sultan nimmt sein Satelliten-Telefon und ruft Kabul an. Der Dicke gibt grummelnd bei.  
  Gezogen von einem winzigen Motorboot treibt der Kahn über den Pjandsch. Wir nähern uns Tadschikistan. Ich stecke meine Kamera weg - das ist nicht Sultans Grenze. Erster Stop eine Station mit vielen Soldaten. Fahrer und Wagen werden getrennt. Ulrich darf dank seines Diplomatenpasses am Wagen bleiben. Ich muss mit Rupert und Sultan in einen Bus. Wir treffen Erik, einen Amerikaner. Er kennt die Grenze. Früher hatte er immer Probleme. Dann gab er ein paar Dollar und seitdem reist er ohne Trouble.
Ein altes KGB-Gebäude. Wir warten. Der Soldat hinter seiner hohen Kabine macht irgendetwas. Man sieht nicht was - das macht nervös. Das ist so geplant. Dann "OK". Mit dem Pass geht es in den nächsten Raum. Zwei Soldaten an Tischen. Die Reste von Zierborten an den Wänden. Die ehemals blauen Fenster stehen offen. Schwalben zwitschern durch den Raum, fliegen um unsere Köpfe. Wir füllen sinnlose Formulare aus, die es in der Hauptstadt schon nicht mehr gibt. Hier an der Grenze sind die Menschen der Willkür des Militärs ausgeliefert. Zum Glück hat Ulrich den Diplomatenpass...  
  Einer der beiden Soldaten spricht deutsch. Er hat, so sagt er, einmal in der Hauptstadt studiert. Ich soll ausfüllen, wieviel Geld ich bei mir habe. Rupert hatte gesagt, ich solle nichts angeben. Das tat ich. Der Soldat sieht mich fragend an, fragt dann nach. "Alles im Auto", lüge ich, obwohl achtzig Dollar in meinem Portemonaise liegen. Wir dürfen weiter - noch einmal Formulare. "Krankheiten". Dann ein Flur, eine Tür - wir haben es geschafft. Ulrich und unser Fahrer warten bereits. Auch Anja, Sultans rechte Hand, ist mit Papieren und einem Fahrer da - falls es Komplikationen gegeben hätte.
Die Fahrt geht weiter in Richtung Heimat. Mein Magen knurrt. Aber Sultan gibt Gas. Richtung Duschanbe. Die Häuser sehen auf einmal alle wieder modern aus. Rein optisch geht es den Tadschiken besser als den Afghanen. Aber kaum Märkte sind zu sehen, nur ganz selten ein Geschäft. Lethargie scheint über dem gesamten Land zu liegen. Nach zwei Stunden Fahrt dann ein Stop - Mittagessen. Es gibt gebratene Innereien. Richtig Hunger hat niemand mehr. Nur Durst.
Irgendwann erreichen wir Duschanbe, Sultans Headquarter. Wir sind fertig. Taschen aus dem Wagen und dann - setzte sich Ulrich erst einmal an das verstimmte Klavier und spielte einfach drauf los. Es wurde Zeit, nach Hause zu fahren.
Mit der Plastik-Becher-Methode duschten wir dann erst einmal den Staub der Reise ab. Es war mittlerweile Abend geworden. Sultan brachte uns drei in das Restaurant, in welchem wir schon nach der Ankunft gefrühstückt hatten. Er bestellte für uns auch gleich das Essen - denn die Bedienungen verstanden nur Russisch und mit Englisch war nicht weiterzukommen. Drei Japaner hatten weniger Glück als wir - keinen Sultan. Der machte sich nach der Bestellung auf den Heimweg. Und wir genossen die warme Sommernacht, den Wodka und den Heimweg samt Diskussionen quer durchs nächtliche Duschanbe zu unserer Unterkunft.  


Tag 8 - Zurück in die Heimat