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Tag 5 - Altes und Neues in Baktrien

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  Die Nacht in Mazar-e Sharif war angenehm. Gegen halb sieben wurde ich am nächsten Morgen wach. Die Sonne begann, die Wände des Hofes bereits wieder aufzuheizen. Ulrich und Rupert waren einmal mehr bereits auf den Beinen. Nach einem einfachen aber leckeren Frühstück stand unser erster offizieller Besuch in Mazar an: die Balkh-Universität, gleich vierhundert Meter die Straße runter und um die Ecke. Wir nahmen aber trotzdem den Jeep - schließlich hatten wir noch mehr vor an diesem Mittwoch. Und so fuhren wir vor der Uni vor - nicht ohne Aufsehen zu erregen.
Zuerst hatten wir ein Gespräch beim Kanzler Habibullah Habid (nicht der Herr im Bild). Die Balkh-Universität ist eine von neun Universitäten in Afghanistan. 4000 Studenten studieren an den acht Fakultäten - von Landwirtschaft bis hin zu Journalismus. Kontakte nach Europa habe die Uni noch nicht - Kabul werde in dieser Beziehung immer bevorzugt. Ulrich versprach, in Deutschland nach Partnern zu suchern. Was dringend fehlt in Mazar: ein Internetanschluss und aktuelle Fachliteratur auf Neu-Persisch.  
  An unserem Besuchstag war gerade Prüfungsstress angesagt. Wir durften aber trotzdem einmal einen Blick in einen der Unterrichtsräume werfen. Von der Auslastung der Räume erinnerte es mich sehr stark an meine Studienzeit in Leipzig. Auch in Afghanistan braucht die Universität dringend einen Anbau. Die Fläche dafür, so der Rektor, habe man bereits gesichert. Aber das Geld aus Kabul fehle - selbst der Haushalt komme nur schleppend oder gar nicht in Mazar-e Sharif an. Viele Studenten und Dozenten arbeiten somit neben dem Studium.
Bei der Führung durch die Universität fiel auf, dass die Frauen hier ohne Schleier herum liefen. Aber sobald meine Kamera irgendwo ins Spiel kam, zeigten sich auch hier die üblichen Verhaltensweisen - schnell das Gesicht verbergen oder aber wegdrehen. Ein Vertreter der Uni lud uns zu einem Fest am nächsten Tag ein - wir nahmen die Einladung erst einmal an, auch wenn wir keine Zeit hatten. Und dann ging es auf zum Stolz der Balkh-Universität: der Bibliothek mit ihren 20000 Bänden, größtenteils Schenkungen aus USA-Land.  
  Eine ältere Frau saß am Eingang der Bibliothek und führte Buch über die Bücher. Schäden durch Studenten gebe es nicht, beteuerte sie. Wie stöberten ein wenig durch die Regale, wo sich dann solche tolle Titel fanden wie der zweite Teil einer Geschichte Afghanistans - von einem amerikanischen Autor. Höhepunkt war ein Titel über die Möglichkeiten von Produktmarketing im Fernsehen. Ich schaute ein wenig in der Journalismus-Abteilung weiter, aber ein Buch, wie man einen Artikel richtig schreibt oder überhaupt ein Buch über die Grundlagen des Journalismus schien zu fehlen.
Bald war es für uns dann auch schon wieder Zeit aufzubrechen. Und so verabschiedeten wir uns vor der Uni von den Dozenten und Studenten. Unser nächster Termin an diesem Tag war der Bürgermeister - aber vorher statteten wie den britischen ISAF-Truppen in einer versteckten Seitenstraße noch einen Überraschungsbesuch ab. Der Bundestag öffnet alle Türen - und so bat uns der Ofiizier, nachdem er Ulrichs Ausweis gesehen hatte, in die Unterkunft des Provincial Reconstruction Teams in Mazar. Im klimatisierten Raum kamen wir so ins Gespräch.  
  Viel Zeit hatten wir nicht bei den Briten vom PRT - aber sehr viel zu erzählen hatten sie uns auch nicht. Dafür aber unser nächster Gastgeber Haji Mohammed Ishaq, der Bürgermeiter von Mazar-e Sharif. Zwar war der Mann im feinen Zwirn erst etwas skeptisch ob unseres Räuberzivil, aber zumindest erzählte er uns einiges Interessantes über die 186000 Einwohner-Stadt. Größtes Problem in Mazar ist die Wasserversorgung. Abwasser versickert einfach. Drei Jahre wurde um Mazar gekämpft - aber Schritt für Schritt, so Herr Ishaq, werde es wieder besser.
Die Energieversorgung sei immer noch problematisch. Früher kam der Strom aus Usbekistan, allerdings sehr unzuverlässig. Jetzt kommt der Strom aus Turkmenistan, aber es ist immer noch zu wenig für die aufstrebende Stadt. Eine Düngemittelfabrik liefert im Moment den Löwenanteil - den Rest erledigen hunderte von Generatoren in der ganzen Stadt. Die Verwaltung ist in Afghanistan übrigens sehr schlank - ganze 24 Mitarbeiter stehen Herrn Ishaq für die Aufgaben in der für afghanische Verhältnisse Metropole zur Verfügung.  
  Nach gut vierzig Minuten verabschiedeten wir uns von Herrn Ishaq. Draußen im Flur warteten schon Dutzende von Afghanen auf einen Termin beim Bürgermeister. Wir kämpften uns durch die Massen und fuhren zum Fernseh- und Radiosender, wo uns der Senderchef auch empfing. Der Mann war Paschtune  und wie auf das Stichwort hin begann er uns nach der Frage, welche Probleme sein Sender denn habe, wüst zu beschimpfen. Wir tranken unseren Tee, Taj stellte das Übersetzen ein und nach zwanzig Minuten verabschiedeten wir uns höflich. Saddams Söhne waren da gerade tot auf BBC zu sehen.
Wir entschieden uns kurzfristig, an diesem Tag noch die Region um Balkh zu besichtigen. Dafür brauchten wir aber zwei Führer - Familienmitglieder, die geschäftlich in Balkh gute Kontakte hatten. Und so wurden dann unsere Autos noch einmal gecheckt, während General Dostum nichts ahnend mit seinem 600er Mercedes (ganz in schwarz) an uns vorbeifuhr. Mit einem zweiten Jeep - unseren "Guards" - ging es dann die dreißig Kilometer nach Balkh, dem früheren Zentrum der Region, der ehemaligen Hauptstadt des alten Baktrien.  
  Auf dem Weg dorthin fuhren wir an jeder Menge Panzerwracks vorbei, die sauber aufgereiht am Straßenrand standen. Es war die Straße in Richtung des Dostum-Gebietes. Unterwegs fuhren wir durch eine riesige, uralte Lehmfestung, die, wie Sultan versicherte, einmal der Stützpunkt für Dostum Truppen gewesen war. Jetzt stand das Areal relativ leer - aber ein Pick-Up mit Soldaten in neuer Uniform und mit modernen Waffen verriet uns, dass der Kriegsfürst noch immer Truppen in der Hinterhand hatte.
Die Anfahrt auf Balkh selbst war beeindruckend. Hinter den Feldern links und rechts der Straße erhob sich in der Ferne die alte Stadtmauer. Ulrich erzählte, dass man in Balkh voller Stolz behauptet, die ältesten Fundamente der Welt zu besitzen. Die Stadt sieht sich in direkter Konkurrenz zu Jerichow. Angeblich wurden die Stadtmauern auf den Knochen der erschlagenden Feinde errichtet. Ob all dies wirklich so stimmt - auf jeden Fall tauchten wir bei unserem Besuch in Balkh in Geschichte ein, die weit älter als der Islam ist.  
  Zentrum von Balkh ist die Moschee. In einem großen, grünen Park mit uralten Bäumen gelegen liegt sie im Zentrum der Stadt. Drumherum ein Straßenring und dann folgt die Bebauung. Im Park sah ich dann auch zum ersten Mal normale Menschen mit einer Waffe im Land - ein Wächter, der die Anlagen "beschützt". Die Moschee selbst war, wenn auch bereits durch einen Flugzeugabsturz Anfang der neunziger Jahre arg in Mitleidenschaft gezogen, einfach nur wunderschön mit ihren Mosaiken und der blauen Kuppel.
Im Inneren der Moschee wollte Sultan unbedingt einen alten Mann wiedertreffen, den er zuletzt vor fünfzehn Jahren gesehen hatte. Der Alte saß am Eingang, schon seit vielen Jahren. Morgens zum ersten Gebet ist er zur Stelle und geht erst Abends nach dem letzten Gebet heim, so dass die Kirche tagsüber immer den Gläubigen offen steht. Seinen Lebensunterhalt verdient er durch Almosen und dadurch, dass er die Möglichkeit zur Waschung vor dem Gebet bietet. Nachts kommt dann ein Wachmann und hält die Moschee offen. Sultan und der alte Mann hatten sich viel zu erzählen. Ich betrachtete derweil das Innere der Moschee.  
  Ulrich hatte von einem alten Gewölbe unter der Moschee gelesen - und der alte Mann bot uns an, eben jenes zu besichtigen. So ging es dann auf Socken und im Schein eines Feuerzeuges in einen Nebenraum und dann hinab in die Tiefe. Wozu das Gewölbe gedient hatte, konnte uns niemand mehr verlässlich sagen - kein Wunder bei einer über 1000 Jahre alten Moschee. Aber die leeren Räume waren beeindruckend, fein aber schlicht gearbeitet, sofern dies im Schein des Feuerzeuges zu beurteilen war.
Nach unserem Ausflug ins Gewölbe verließen wir den alten Mann und die Moschee. Im Park um die Moschee herum liegt das Grab von Rabuha Balki, einem Poeten, wie Sultan erzählte. Ein Grabstein und eine Grabplatte aus gelben Fliesen bedeckt die eigentliche Grabstelle. Gegen ein kleines Entgelt wurde uns erlaubt, durch eine kleine Luke hinab ins Grab zu steigen. Ich machte ein Foto von Rupert, welches er für die Schule in Dashte Qua'leh haben wollte, die nach eben jenem Poeten benannt worden war.  
  Von der Moschee führte uns unsere Fahrt dann zu einer vor der Stadt gelegenen Festung - eine riesige Mauer bzw. deren Überreste umzäunte ein Paradies für Schlangen und Skorpione. Ein sehr interessanter Mann lebe hier, wie man uns versicherte. Und in der Tat: Sha Hosini Noha Hsini war wirklich beeindruckend in seiner braunen Kutte und mit seinem wilden Haar. Der Mann stammte ursprünglich aus dem Iran, war aber aufgrund einer ständig wiederkehrenden Vision zu Fuß bis nach Balkh gelaufen, um dort am Fuße vom Grab des Ahamdi Zomche zu leben.
Letzterer war ein vorislamischer Heiliger, der vor dreitausend Jahren in Balkh lebte. Sha Hosini erzählte uns Geschichten von Teufeln, die vor viertausend Jahren von einem heiligen Mann in einem Brunnen eingeschlossen wurden, als sei es gestern passiert. Jeden Freitag zum Abendgebet höre er die Rufe der beiden, dass man sie doch endlich befreien möge. Seinen Lebensunterhalt verdient der Mann, der in einem halb verfallenen Haus lebt, als Wunderheiler mit Skorpionen und Schlangen, die er uns auch eifrig vorführt.  
  Ulrich und Rupert erklommen die Überreste der beeindruckenden Festungsanlage von Balkh. Ich musste derweil mein Fotoequipment aus dem Wagen holen - ich hatte es dort einfach vergessen. Als ich zurück kam, stiegen sie gerade wieder von der Mauer herab. Sultan versuchte sich am Grab Ahamdi Zomches noch ein wenig in Krankenvorsorge: einen Nagel in das Holz zu schlagen helfe bei Zahnschmerzen, so seine Aussage. Er habe zwar keine, aber ein wenig Vorsorge könne nie schaden. Bevor wir weiterfuhren gab es von Sha Hosini noch ein "magisches" Stück Kandis...
Eigentlich hätten wir uns unsere Fahrt mit dem Wagen fast sparen können. Wir fuhren entlang der alten Festungsmauer und dann durch eine Art Durchbruch auf eine Ebene. Einen halben Kilometer außerhalb der Festung kam dann schon das nächste Grab in Sicht. Sieben Heilige Männer lägen dort begraben, so unsere Führer aus Mazar. Ein alter Mann lebte an dem Grab mit einem kleinen Jungen als Helfer. Im Schatten einer Reismatte lag ein kleines Mädchen, vielleicht vier Jahre alt, und schlief. Unsere Begleiter betraten die Grabstätte um zu beten.  


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