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Tag 5 - Altes und Neues in Baktrien

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  Taj, der spirituellen Dingen immer mit einer gewissen Distanz gegenüber trat, kam auf einmal lachend von der Textlektüre der grünen Tafel zurück. Nicht sieben heilige Männer liegen in dem Grab, sondern nur ein einziger. Sein Name: Seth - Sieben. Des weiteren enthielt die Tafel nach seiner Übersetzung große Weißheiten. "Traue niemals deiner Frau, denn sie spricht mit gespaltener Zunge." Das Grab zeigte, dass Bildung in diesem Land nötiger ist als alles andere. Ulrich fragte den alten Mann, den Hüter des Grabes, warum der Junge bei ihm nicht zur Schule gehe. Die Antwort: "Die nächste ist zu weit entfernt..."
Und so hilft der Junge dem Alten. Ihr Einkommen ist das Grab, denn jeder, der dort Andacht hält, gibt dem Hüter ein kleines Almosen. Bevor wir uns auf den weiteren Weg machten, betete der Mann spontan für und mit uns. Ulrich zeigte sich beeindruckt. Als wir dann weiterfuhren, fragte er Sultan, wann wir endlich etwas von Rumi zu sehen bekommen würden, jenem großen islamischen Poeten, der aus Balkh stammte und im Alter von drei Jahren mit seinen Eltern vor den anrückenden Hunnen in die heutige Türkei floh. Gleich als nächstes, meinte Sultan.  
  Über staubige Pisten ging es vorbei an grünen Feldern und jeder Menge uralter Ruinen zu einem Dorf mit großen, grünen Bäumen. Vor einem Gebäude aus gebrannten Ziegeln hielten wir. Unsere Führer aus Mazar-e Sharif sagten uns, dass dies das Geburtshaus von RUmi sei. Ein Grab liegt heute in den Überresten und auch hier war ein alter Mann anwesend, der das Grab behütete. Mussafier Tauret hieß der Mann. Wie alt er ist, wusste er nicht. Er zeigte uns einen uralten Pass, noch aus Zeiten des afghanischen Königs und vergilbt, in dem sein Alter nur geschätzt wurde.
Mussafier erzählte uns etwas über das Grab und über den "islamischen Heiligen" darinnen, der vor zweitausend Jahren gelebt haben soll. Dass all dies nicht mit Rumis Alter zusammenpasste und das es vor zweitausend Jahren noch keinen Islam in Balkh gab - er wusste es einfach nicht besser. Wahrscheinlich war auch er einst ein kleiner Junge gewesen, der nie eine Schule von innen gesehen hatte und von einem alten Mann alles erfahren hatte, was man über das Grab wissen musste, damit es Geld einbrachte. Ich entschied mich, lieber ein paar Fotos zu machen.  
  Ein Gruppe Kinder, die bei jedem unserer Zwischenstopps in den Dörfern schnell zusammengelaufen war, erregte meine Aufmerksamkeit. Ein kleines Mädchen mit einem schmutzigen, rosafarbenen Kleid besonders - es hatte strahlend blaue Augen. Aber mein erster Versuch, ein Foto der Gruppe zu machen, schlug fehl. Sobald sie meine Kamera sahen, waren sie alle weg. Erst langsam trauten sie sich wieder heran, bestaunten mich, und auf einer nonverbalen Ebene schaffte ich ein wenig Vertrauen - ein einfaches Lachen - an dessen Ende dieses schöne Bild stand.
Ulrich war von dem Zwischenstopp ein wenig enttäuscht. Von Rumi war hier nichts zu sehen. Er meinte, dass Rumi wohl auch nur in einer Lehmhütte zur Welt kam, von der heute nichts mehr steht. Als wir bereits weiter fahren wollten, fiel ihm dann aber noch ein Baum vor dem Haus auf, der ob seines Umfanges durchaus siebenhundert Jahre alt sein konnte. Und so machte ich ein Foto von Ulrich unter diesem Baum - unser erster Kontakt zu Rumi, der als kleiner Knirps durchaus im Schatten eben jenes Baumes gespielt haben mag. Wissen tut dies natürlich niemand - am allerwenigsten die alten Männer an den Gräbern.  
  Auf der Weiterfahrt zum nächsten Stopp machte Sultan seine Witze über die Gräber und ihre Hüter. "Einem alten Mann ist auf einer langen Reise sein Esel gestorben. Zu Fuß kann er nicht weiter, und so begräbt er das Tier und weint über den Verlust. Die Menschen kommen vorbei und fragen wen er denn beweine. Der alte Mann nennt nur den Namen seines Tieres, aber erwähnt nicht, dass es ein Esel ist. Die Menschen denken, es war ein besonderer Mann, wenn der Alte um ihn weint. Und so kommen sie und beten und geben dem alten Mann Geld. Und der denkt sich: nicht schlecht...."
Vor einem Haufen alter Lehmziegel hielten wir das nächste Mal. Hier sei Rumis Schule gewesen, wie man uns erzählte. Wir kletterten auf den Lehmziegeln herum und unter unseren Schuhen bröselte der Staub der Jahrhunderte. Nur gut, dass dies hier kein Tourismusland war - die Horden hätten die Reste schon dem Erdboden gleich gemacht. Ulrich beweifelte zwar, dass Rumi hier lernte - er floh als Dreijähriger - aber er bestand auf einem Foto mit unserem jungen Begleiter mit der Kalaschnikow auf den Ruinen - "The War Is Over".  
  Unsere Zeit gemahnte langsam zum Aufbruch. Sultan meinte nur, man brauche für eine Besichtigung aller sehenswerten Plätze in Balkh mindestens drei Tage. Zu viel gibt es einfach zu sehen. Bevor wir jedoch wieder nach Mazar fuhren, mussten wir in Balkh bei einem Commander halt machen. In einer Art Laube nahmen wir im kühlen Schatten Platz. Die Laube war eine tolle Sache - von außen mit Dornengras in Büscheln bestückt rieselte Wasser an den Wänden herab und sorgte bei der Verdunstung für eine wohlige Kühle im Inneren, die wir natürlich sehr genossen.
Der Commander erzählte uns, dass durch die Taliban der Großteil der Schulen in der Region zerstört worden sei. Vor allem in den Dörfern sei die Lage sehr schlecht. Detaillierte Fragen konnte er uns jedoch nicht beantworten, und so ließ er den für die Schulen zuständigen "Beamten" kommen. Dieser erzählte uns dann, dass von den 480 Lehrern im Distrikt Balkh nur ein einziger ein Lehrerdiplom habe. Von ehemals 55 Schulen könnten noch 34 genutzt werden, seien aber oft reparaturbedürftig. Ein Führung durch die Schulen war aber nicht mehr möglich, da sie zu weit entfernt lagen.  
  Während wir uns noch unterhielten, war pötzlich Gewehrfeuer zu hören. Ich dachte erst an Feuergefechte - aber Taj erzählte mir später, dass es die Hochzeit eines anderen Commanders war. Als wir dann gehen wollte, kehrte unser Gastgeber noch seine caritative Ader heraus - er habe ein Schulprojekt, dass er finanziere. Es sei schon viel fertig, aber er brauche die Hilfe einer Organisation, um dies fertigzustellen. Rupert zeigte sich wenig interessiert - derartige Projekte brächten nur Ärger und am Ende würde der Commander sich damit schmücken.
Wir verabschiedeten uns höfllich bei dem Commander und machten uns dann auf den Rückweg nach Mazar. Um halb sieben wollten wir bei der Agro Action sein, um Mails zu schreiben, aber wir kamen sehr gut durch und hatten so noch fast eine Stunde zur Verfügung. Also beschlossen wir, uns die große Moschee im Stadtzentrum anzuschauen. Auf den Straßen im Zentrum war einiges los - fast schon ein Verkehr wie zu Hause. Aber einen Unterschied gab es: die Lastwagen und kleinen Transporter fuhren in Mazar immer mit
200 Prozent Zuladung.
 
  Am Eingang zur Moschee war der erste Platz im Lande, wo ich Bettler sah - und auch hier gab es nur eine Handvoll in der 200000 Einwohner Stadt. Rupert meinte, dass das "Handaufhalten" in Afghanistan noch nie sehr ausgeprägt war - wer hier saß, für den gab es meist keine andere Möglichkeit mehr. Auf dem Platz vor der Moschee gab es einen großen Platz, der über und über voller weißer Tauben war. Sultan hatte uns von diesem Platz erzählt. Auch in Afghanistan sind weiße Tauben ein Zeichen des Friedens. Und wenn man sie füttert, so die Afghanen, so bringt das einem viel Glück.
Und so fütterten Rupert, Ulrich und Sultan die Tauben von Mazar. Ich machte derweil Fotos von der Aktion - und erregte mit meiner Kamera das Interesse von zwei Afghanen, die fragten, ob "die" aus Usbekistan sei. Taj meinte, ich solle lieber nicht darauf reagieren. Eigentlich wollten wir uns auch das Innere der Moschee anschauen, aber ein Afghane im Eingangsbereich wollte uns dafür fünf Dollar pro Nase abnehmen. Rupert und Ulrich meinten, sie würden keine Gotteshäuser besuchen, die Geld für den Eintritt verlangten. Und auch mir war es ein wenig viel Geld für das Bild einer Moschee - selbst in Deutschland zahlte man weniger für eine Fotoerlaubnis.  
  So blieb mir dann nur das Bild durch den Zaun - die Erlaubnis brauchte man nur, um drinnen zu fotografieren. Ich hatte extra nachgefragt, wo 'drinnen' begann. Als ich mein Bild hatte, dann erst einmal ein Schreck - der Rest der Gruppe schien verschwunden. Ich ging zurück zum Wagen, in der Annahme, sie seien schon vorgelaufen. Doch dort war noch niemand. Also zurück zur Moschee, wo ich die Vier dann auch fand - sie hatten für mich nicht sichtbar hinter einer Ecke gestanden und nun ihrerseits mich gesucht.
Mittlerweile war es Zeit, zur Agro Action zu fahren. Herr Boenisch erwartete uns bereits. Wir schrieben schnell je eine Mail in die Heimat und dann ging es zur Unterkunft der deutschen Entwicklungshelfer zum Grillen. Die Schaschlicks waren sehr lecker und es war ein angenehmer Abend mit Joachim Boenisch, seinem Kollegen und zwei Italienern, die bei den Deutschen als Untermieter wohnten. Kurz nach neun kam dann Sultan zurück und holte uns wieder ab. Und Rupert hatte nebenbei für Taj einen Job-Kontakt bei der Agro Action in Gang gebracht.  
  Als wir wieder zurück waren, wollte ich unbedingt noch ein paar Bilder von den Marktständen am Anfang unserer kleinen Straße machen. Also fragte ich Taj, ob er mich ein wenig begleiten würde. Er stimmte zu, und so machten wir uns zu Fuß auf den Weg. Der erste Fotostopp war der kleine Videoladen. Überall in der Stadt gab es diese Läden, in deren Schaufenster die Poster von pakistanischen und iranischen weiblichen Popsternchen hingen, allesamt westlich leicht bekleidet, während die afghanischen Frauen in ihre Burkhas gehüllt durch die Straßen zogen.
Die Afghanen zeigten sich sehr erstaunt, dass sich ein Europäer Nachts noch auf die Straße traue, um ausgerechnet von ihnen Bilder zu machen. Und so hatte ich keine Probleme, Freiwillige für ein paar Bilder zu finden. Noch während ich fotografierte, hielten ständig Taxis und riefen, dass ich sie doch auch fotografieren solle. Auch ein paar Studenten aus dem gleich nebenan gelegenen Wohnheim sprachen mich bzw. Taj an. Der Direktor hatte das Wohnheim als in sehr schlechtem Zustand bezeichnet, und so beschloss ich, mir selbst ein Bild davon zu machen.  
  Im Flur herrschte Dunkelheit, als wir durch ein Loch in einem Gitter in das Innere des Gebäudes kletterten. Nur in den Zimmern selbst, wo sich bis zu acht Studenten einen Raum teilen mussten, brannte Licht. Die meisten lernten gerade - es war Prüfungszeit. Der Boden des Flurs ließ den alten Glanz des Hauses erkennen. Taj warnte mich nur vor einem Loch im Boden, in welches er als Student einmal gefallen sei. Sanitäranlagen oder Küchen waren nicht zu sehen oder lagen im Dunkel der Nacht. Wäre es nach den Studenten gegangen hätte ich noch zehn Filme verknipst. Aber ich war langsam müde.
Zurück an der Unterkunft dann das Bild fern sehender Minderheiten - nur jeder zehnte Afghane hat überhaupt einen Fernseher. Der Generator summte - die Stromlieferungen reichten einmal wieder nicht mehr - und unser Tag ging langsam zu Ende. In der Sitzecke machten wir es uns, nachdem unsere Gastgeber ebenfalls zu Bett gingen, bequem. Nichts als den Sternenhimmel über mir schlief ich dann total erschöpft ein.  

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