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Tag 6 - Eine Schule in den Bergen

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  Auch der Donnerstag Morgen begann wieder sehr warm. Wie ziemlich jeder Morgen mitten im Hochsommer. Unser letzter kompletter Tag in Afghanistan - gleichzeitig Sultans Geburtstag - sollte dazu dienen, endlich einen Standpunkt für das Schulprojekt der Grünhelme zu finden. Drei Dörfer hatte Sultan im Vorfeld bereits auskundschaften lassen, die für unsere Zwecke geeignet schienen. Doch zuerst brauchten die Jeeps neuen Sprit - diesmal an einer richtig modernen Tankstelle.
Doch tanken tun an den neuen Säulen nur die Menschen, für die das Prestige zählt. Denn an den altmodischen Handpumpen ist der Sprit billiger... Unser Weg führte uns von Mazar-e Sharif zunächst einmal wieder nach Osten - dorthin, von wo auch die Taliban kamen. Zirka zehn bis fünfzehn Kilometer vor der Stadt lag das Ziel unserer Reise, ein kleines Dorf direkt neben der Straße. Die Ortschaft trug den Namen Qala-i Gul-Mohd - eine Ansammlung von Lehmhütten direkt neben der Straße nach Kabul. Wir fragten in einer Gruppe Arbeiter nach der Schule des Dorfes.  

 

Ein älterer Mann führte uns dorthin. Umgeben von Lehmmauern standen zwei Zelte auf einem Platz. Aus den Zelten waren Kinderstimmen zu hören. Rings um den gut Fußballfeldgroßen Platz standen alte Gebäude. Einige Männer arbeiten an den Gebäuden. Rupert fragte nach, was denn mit der Schule sei. Die UNO baue sie wieder auf - so sagte man uns. Rupert war ein wenig enttäuscht - hier war kein guter Bauplatz. Aber so dicht neben der Hauptstraße hatte er das auch nicht erwartet. Ein Gebäude mit Lautsprecher fiel mir auf - die örtliche Moschee.

Wir verließen Qala-i Gul-Mohd wieder und machten uns auf zum nächsten Dorf: Gur-e Mai, was soviel wie Grab der Schlange bedeutet. Ulrich machte noch ein paar Witze über die seltsamen Namen der Dörfer. "Das klingt alles wie Amanullah und Dshallallabada lallalla.",  meinte er. Sultan und Taj lachten mit uns über den Witz. Wir fuhren derweil mit dem Jeep durch elendig weite Getreidefelder auf das Gebirge zu. Nirgends auch nur der Hauch von Schatten und dann: noch mehr Lehmhäuser.  

 

Am Dorfeingang von Gur-e Mai setzten wir Rupert und Taj erst einmal ab. Rupert musste per Satelliten-Telefon ein Interview für den DLF geben. Und während wir mit einem älteren Herren, dem Bruder oder Schwager eines Lehrers im Dorfe, zu eben jenem Lehrer fuhren, kamen Rupert und Taj zu Fuß nach. Am anderen Ende des Dorfes war der Lehrer gerade mit dem Dreschen von Getreide beschäftigt. Es war schließlich Erntezeit und die Kinder hatten Ferien. Dementsprechend dauerte es auch nicht lange, bis eine größere Horde neugierig unseren Jeep umringte.

Ulrich kramte in seiner Wundertüte herum, die er aus Deutschland mitgebracht hatte. Und so verteilten wir erst einmal Buntstifte, während Sultan nährere Informationen beschafte. Die Kinder freuten sich wie Schneekönige über die Geschenke - und bemalten sich freudig ihre Finger. Auffällig war, das erst einmal nur Jungen zu sehen waren. Die Mädchen kamen erst nach und nach und auch nur zögerlich heran. Sultan erzählte uns, dass Gur-e Mai große Probleme mit dem Wasser habe. Im ganzen Dorf gebe es nur zwei öffentliche Handpumpen.  

 

Über einen Graben komme ein bis zwei Mal pro Woche Wasser aus den Bergen. Man zeigte uns den Graben - eine grüne Kloake - und nur zur Bestätigung, dass das Wasser gut sei, trank ein kleiner Junge auch etwas für meine Kamera.  Der Lehrer war endlich fertig und wollte uns zur Schule bringen. Auch Rupert und Taj waren eingetroffen. Wir liefen zu Fuß, da durch die zahlreichen Gräben im Dorf der Jeep Probleme hatte. Taj fuhr derweil außen herum. Unterwegs offenbarte sich das Wasserproblem von einer anderen Seite: Die Menschen legen als Vorrat überall Teiche an - eine ideale Brutstätte für Mosquitos und wer weiß nicht noch was für Krankheitserreger.

Auf dem Weg zur Schule sahen wir dann auch, wie das Baumaterial für die Häuser hergestellt wird. Ein Mann saß in der brütenden Hitze und füllte eine Einfache Holzform mit einem Wasser-Lehm-Gemisch. Diese wurden kurz gestampft und dann zum trocken aus der Form gestürzt. Während ich mein eines Foto machte schaffte der Mann gut drei solcher Formen mit jeweils vier Ziegeln. Recht schnell - aber in Afghanistan wird ja auch jede Menge Baumaterial gebraucht, zumal die Bauten aus Lehmziegeln nicht ewig halten, zumindest nicht immmer...  

 

Das Dorf, in welchem wir waren, musste einmal recht gut ausgebaut gewesen sein. In einer Lehmhütte ohne Dach fand ich die Überreste einer alten Trafostation. Es hatte hier als einmal Strom gegeben, auch wenn dies dem Rost auf den Trafos nach wohl vor dem Bürgerkrieg gewesen sein musste. Und dann kam auch die Schule in Sicht - ein solider Lehmbau. Ein kleiner Zwerg, der aus einem Hauffschen Märchen entsprungen schien, begrüßte uns. Es war der Hausmeister der Schule. Er führte uns herum. Es gab drei große Klassenzimmer, vollgestopft mit Bänken - was recht ungewöhnlich ist, denn meist sitzen die Kinder in Afghanistan einfach auf dem Fußboden.

Die Schule hatte halbmeterdicke Wände und machte einen gepflegten Eindruck. Man erzählte uns, sie sei noch zu Zeiten Amanullahs gebaut worden. Ein wenig enttäuschend schon - auch hier brauchte man nicht wirklich eine große Schule. Mir fiel derweil ein kleines Mädchen mit roten Haaren auf. Ich dachte erst, ich gucke nicht richtig. Aber auch so etwas ist in Afghanistan normal, wo alle möglichen Eroberer und Durchgezogenen Reste ihres Genpools hinterlassen haben. Auffällig war aber, das diese Kinder, egal welche Hautfarbe sie hatten, einmal ein wenig Wasser gebrauchen könnten, um ihre Haare auch zu waschen...  

 

Mittlerweile waren sehr viele Kinder zusammengekommen und umlagerten unseren Jeep. Ulrich übergab dem Lehrer der Schule noch ein paar Stifte, und dann verabschiedeten wir uns und machten uns wieder auf den Weg. Gur-e Mai brauchte zwar auch dringend Hilfe - aber nicht die Schule, die Rupert mit den Grünhelmen zuerst einmal bauen wollte. In Gur-e Mai würde man hingegen ein größeres Projekt benötigen - ein Wiederaufforstungsprojekt, um den Wasserhaushalt der Region zu stabilisieren.

Ein Dorf lag noch auf unserem Besichtigungsplan. Jedoch befand es sich weit oben in den Bergen. So fuhren wir denn erst einmal nach Mazar zurück, um uns einen Führer zu holen. Denn unser Weg sollte entlang von Minenfeldern führen, und so war es besser, auch jemanden dabei zu haben, der wusste, wo die Minen lagen. Da es bereits Mittag war, nahmen wir noch ein paar Wassermelonen mit auf die Fahrt. In einem der südlichen Vororte von Mazar fanden wir dann unseren Führer. Und ab ging die Fahrt in die Berge.  

 

In den Engen Gassen der Vororte kamen unsere Jeeps kaum durch und manch Fahrradfahrer musste sich mit einem Sprung gegen die Wand vor Sultans Fahrkünsten retten. Bald lagen die letzten Hütten hinter uns und eine Schotterpiste zog sich in Richtung Berge. Sultan fuhr mittlerweile neben der Straße - das war einfach bequemer. Unterwegs überholten wir dann einen "Taliban-Jeep", auch wenn der Wagen wohl eher zu einem Warlord der Nordallianz gehörte. Aber die Jungs waren friedlich und ich war froh, dass ich trotz der Schlaglöcher während der Fahrt dieses Bild hinbekam.

Wir fuhren über ein Staubpiste südlich des Flughafens von Mazar auf die Berge zu. Im Wagen war es brütend heiß und die Zeit dehnte sich wie Kaugummi. Immer wieder kamen wir in die Staubwolke des vorausfahrenden Wagens mit Rupert, Taj und unserem Führer. Ich fuhr mit Ulrich und Sultan im zweiten Wagen. Nach über einer Stunde erreichten wir dann langsam den Fuß der Berge - zumindest die ersten Getreidefelder der Bergdörfer.  

 

In den Felsen neben unserem Weg waren immer wieder Löcher zu sehen - Unterschlupf der Nordallianz, die in diesem Bereich ihren Rückzugsraum hatte. Von unserem Weg war aber auch nicht mehr viel geblieben: Wir fuhren nun in einem ausgetrockneten Flußbett und auf staubigen Pfaden über tiefen Landeinschnitten dahin. Unterwegs überholten wir sogar einen LKW, der sich hier seinen Weg durch Gelände bahnte, dass selbst den ausgewachsenen Geländewagen richtige Probleme bereitete.

Nach einer endlos erscheinenden Fahrt dann der Fuß der Berge. Zu unserer Überraschung stande am Eingang eines kleinen Tales gut fünzig Panzer in der Sonne und präsentierten ihre Rohre. Sultan fuhr ungerührt daran vorbei - die Panzer eines Warlords, die von der ISAF nach hier oben verbannt worden waren. Hinter der "Paradefläche" folgte dann eine schmale Schlucht, durch die sich das Bett eines Flusses zog. Wir fuhren an Eselskarawanen vorbei in die Welt der Berge...  

 

Langsam wurde mir bewusst, warum dieses Gebiet Rückzugsraum der Nordallianz war: die Schlucht war sehr gut gegen anrückende Feinde zur verteidigen. Am Ende der Schluchte stand das Wrack eines Panzers, der den Eingang des Tales ganz allein sehr gut verteidigen konnte. Wir fuhren weiter durch das ausgewaschene Flußbett. Bisher waren wir noch nicht mit Minenfeldern in Kontakt gekommen. Mittag war längst vorbei und die Sonne hatte uns allen sehr stark zugesetzt. Aber noch war keine Zeit für Pausen.

Über steile Felswege, immer am Rande eines Abgrundes, ging es weiter. Nach einem steilen Anstieg und einer weiten Rechtskurve dann erneut eine Schlucht: Ein schmaler Durchbruch, gerade einmal breit genug für einen Jeep und einen Esel, lag direkt vor uns. Das Rinnsal des Baches, der im Sommer fast vertrocknet da lag, floss über eine Algengrüne Kaskade. Taj erzählte uns, dass hier im Frühjahr das Wasser über drei Meter hoch stünde - kein Durchkommen für niemanden. Doch zum Glück war ja gerade Sommer, auch wenn jeder von uns Durst hatte.  

 

Doch das Land schien mit uns zu sein - kurz hinter der Klamm hielten wie an einer Gebirgsquelle. Das Wasser floss hier direkt aus einem kleinen Rohr im Fels. Wir ließen uns das frische und vor allem kühle Wasser munden und wuschen uns den Staub von den Gesichtern. Das Wasser schmeckte herrlich. Nach einer kleinen Rast ging es dann weiter. Bald schon kamen die ersten Zeichen menschlicher Besiedlung in Sicht - ein Hain alter Bäume mit ein paar Hütten. Wir fuhren weiter und bogen an einer Weggabelung zuerst einmal nach rechts ab in ein kleines Seitental.

Bald schon erreichten wir den Rand eines Dorfes. Unten im Tal, wo sich das Wasser sammelt, standen viele Bäume. Terrassen waren in die Hänge geschnitten, auf denen Getreide angebaut wurde. Der Weg wurde, kaum dass wir die ersten Hütten erreichten, immer schmaler. Für Esel war es breit genug, aber wir kamen kurze Zeit später keinen Meter mehr weiter. Also aussteigen und zu Fuß los. Die Menschen betrachteten uns ein wenig ungläubig. Hier herauf verirrte sich wohl fasst nie ein Ausländer.  

  Die staubige Straße wirkte fasst verlassen. Ruhig lag das Dorf in der Mittagssonne - beinahe idyllisch. Die Kleidung der Kinder und Erwachsenen verriet, dass hier nur Tadschiken lebten. Eines fiel bei den Kindern aber sofort auf - sie waren sauber. Die Kinder aus der Ebene bei Mazar hätten alle ein Bad gebrauchen können. Doch die Bergkinder nicht. Hier oben gab es einfach genügend Wasser. Die ganze Landschaft in dem Tal war grün und große alte Bäume - eine Seltenheit im ganzen Land - spendeten kühlenden Schatten.
Die Felder im Dorf waren alle von kleinen Bruchsteinmauern eingefasst. Die Häuser wirkten ärmlich, aber im Gegensatz zu den Lehmhütten in der Ebene waren diese hier aus Stein. Wahrscheinlich gab es in den Bergen doch öfter einmal Regen, so dass sich Lehmhütten hier nicht so lange hielten wie in der Ebene. Einige Männer, die sich mittlerweile zu unserer Gruppe gesellt hatten, führten uns zum Haus des Dorfältesten - soweit ich das Verstand. Es war eine einfach Hütte am Rande des Dorfes.  

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