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Tag 3 - Eine lange Fahrt nach Afghanistan

  Montag Morgen. Kurz nach Sonnenaufgang. Heute ging es nach Afghanistan. Geschlafen hatte ich wenig. Mein Magen spielte verrückt und ich hatte Durchfall. Ideale Voraussetzungen also, um in ein Land zu fahren, in welchem die Menschen Wasser für alles, aber nicht zur Toilettenspülung verwenden würden.
Ulrich und Rupert ging es besser, sie waren die Keime dieser Welt schon durch diverse Auslandsaufenthalte gewohnt. Ich würde mich erst daran gewöhnen müssen.
Um halb acht wollten wir eigentlich aufbrechen. Aber von Sultan war zur angegebenen Zeit nichts zu sehen. Und so versuchten wir, sein Handy mit dem Telefon in unserer Wohnung zu erreichen. Nach einigen Versuchen gelang es - einer der drei Wagen, mit denen wir fahren wollten, streikte. Die Batterie war herunter. Und so saßen wir dann in dem schönen Wohnzimmer und konnten nichts weiter tun als zu warten. Mit einer Stunde Verspätung tauchte Sultan dann auf. Er hatte zwei Stunden geschlafen, wirkte ein wenig müde, fuhr aber wie der Teufel, um die Zeit wieder herein zu holen.  
  Auf einem heruntergekommenen Schrottplatz holten wir die anderen beiden Wagen, die mit auf unsere Tour kommen sollten, ab. Öl versickerte im Boden und es roch nach Diesel. Wir sahen zu, dass wir aus der Stadt herauskamen. Am Stadtrand von Duschanbe erstreckte sich über einen halben Kilometer Länge so etwas wie eine Einkaufsmeile mit Bazaaren und Supermärkten links und rechts der Straße. Wir rasten einfach nur daran vorbei und waren endlich auf freier Straße.
Außerhalb Duschanbes war Tadschikistan erst einmal sehr trist. Graubraune Hochregionen und grüne Ebenen mit Bewässerungsanbau wechselten sich ab. Zahlreiche Flüsse kreuzten unseren Weg und es gab jede Menge Hochspannungsleitungen, die den per Wasserkraft erzeugten Strom in alle Landesteile und bis nach Afghanistan leiteten. Aber auf der ganzen Fahrt sahen wir keinen einzigen Wald. Nur Felder und Ebenen und ab und an ein paar wenige Bäume. Aber kein richtiger Wald.  
  Die Fahrzeuge auf den Straßen waren oftmals schon recht altersschwach. Mitten in einer Baustelle an einem Anstieg fuhren wir an diesem roten Bus vorbei, dessen Motor die Kombination aus Temperaturen um die 45 Grad im Schatten und starker Belastung nicht mehr durchhielt. Für die Fahrgäste bedeutete dies eine Zwangspause - aber Alternativen ab es nicht. Denn alle Taxis und Busse unterwegs waren mehr als gut ausgelastet. Zum Glück hielten unsere Jeeps gut durch.
In den zahlreichen kleineren Orten sahen wir selten einen Markt oder ähnliches. Vereinzelt gab es ein paar Stände am Straßenrand, aber das war dann oft schon alles für die nächsten 50 Kilometer. Aber hier zeigte sich auch die Armut des Landes - wo die Menschen kein Geld haben, um etwas zu kaufen, wird es jeder Händler schwer haben. Wir deckten immer wieder unseren Vorrat an Getränken neu - 1,5 Liter Flaschen, die bei dem Wetter schneller alle waren, als man gucken konnte.  
  Einer der beiden Verkaufsjeeps - auf sie wartete in Mazar-e Sharif bereits ein Käufer - machte unterwegs immer wieder Probleme. Und so mussten wir des öfteren einen Zwischenstopp einlegen, um ein Bauteil des Wagens mit einem feuchten Tuch zur Mitarbeit zu überreden. Aber Abdul, unser Techniker, verstand etwas davon, unwillige Autos zumindest temporär zur weiteren Zusammenarbeit und damit auch Weiterfahrt zu bewegen. Und so mussten wir des öfteren einen Zwischenstopp einlegen.
Kurz vor Afghanistan wurde die Landschaft noch karger. Wir fuhren durch hohes Gebirge mit spärlichem Baumbewuchs. Sultan erzählte uns, dass die Bäume allein durch die Feuchtigkeit in der Luft wachsen würden. Wir fuhren an zahlreichen Feldern vorbei, auf denen auch viele Kinder standen. Und immer wieder standen Kinder am Wegesrand und winkten mit leeren Plastikflaschen nach Wasser - wir (ver-) brauchten unsere Vorräte aber selber schneller als uns lieb war.  
  Noch vor der afghanischen Grenze in einer kleinen Ortschaft hielten wir dann erneut an. Unsere Wagen mussten aufgetankt werden, aber von einer Tankstelle war weit und breit nichts zu sehen. Lediglich ein Schild mit der Aufschrift "Bensin" und zwei große Glasflaschen mit gelben Inhalt wiesen darauf hin, dass der noch im Bau befindliche Ziegelbau, vor dem wir hielten, so etwas wie eine Tankstelle sein könnte. Und während einer unserer Begleiter neue Getränke besorgte, wurden wir Zeuge tadschikischer Zapftechnik.
Aus einem offenen Blechfass, dass in einer Ecke in der Sonne stand, holte ein junger Mann mit einem Blecheimer das Benzin und füllte es dann mit einem Trichter in unseren Wagen. Einfacher ging es wirklich nicht mehr. Doch bei der Hitze erschien mir das Ganze nicht gerade ungefährlich, zumal einige Tadschiken zwar nicht neben den Fässern, so aber doch nicht in einem gebührenden Abstand standen und rauchten. Aber es ging alles glatt und wir konnten kurze Zeit später unseren Weg zur Fähre nach Afghanistan wieder aufnehmen.  
  Langsam wurde auch die Grenze sichtbar - zumindest in Ansätzen. Mitten in der Landschaft in Sichtweite des Pjantsch erhoben sich einige Grenztürme aus der Landschaft. Besetzt wurden diese jedoch nicht von den Tadschiken, sondern von russischen Einheiten, welche nach dem Bürgerkrieg in Tadschikistan die Kontrolle der Grenze wieder übernahmen. Wir mussten, obwohl wir die Grenze schon sahen, aber noch ein paar Kilometer Umweg zur Fähre fahren.
Die letzten Kilometer führten uns durch eine wüstengleiche Landschaft. Die Straße endete an einem Kontrollposten und dann ging es über staubige Pisten entlang des Grenzzaunes zur russischen Militärbasis. Diese entpuppte sich als nicht viel mehr als  paar Hütten mitten in der Landschaft. Sultan hatte für die Russen Geschenke mitgebracht. Wir standen derweil in der Sonne und fühlten uns ein wenig unwohl.  
  Mit drei der Russen im Schlepp ging es dann weiter - zum Tadschik Custom, dem Zoll. Eine Hütte aus Lehm mit einer Veranda, ein altersschwacher Wohnwagen mit der Aufschrift "Custom" und ein räudiger Köter, alles sauber umzäunt - so lag der Zoll vor uns. Auf der Veranda saßen einige Gestalten und spielten Karten. Wir standen in der Glut der Mittagssonne und warteten auf Sultan. Nach über einer halben Stunde ging es dann endlich weiter. Noch ein weiteres Tor und wir standen am Ufer des Pjantsch.
Während der russische Commmander mit unseren Pässen in einem kleinen Kabuff verschwand, legten die Afghanen auf der anderen Seite ab und nahmen Kurs auf uns. Rupert erzählte, dass scho Alexander der Große unweit der Fähre über den Pjantsch übergesetzt hätte. Wir sahen eine große Statue am anderen Ufer - laut Rupert brauche man auf den Wiesen nur herumlaufen, um über Artefakte zu stolpern. Während wir so erzählten, hatten die Afghanen Probleme mit dem Treibgut und mussten ein ums andere Mal stoppen, um die Zugseile zu befreien.  
  Endlich schafften sie es aber doch noch und wir gingen an Bord. Die Fähre war eine abenteuerliche Konstruktion: einige zusammengefügte Pontons, zwei Führungs- und ein Zugseil sowie ein alter 9000-Dollar-Traktor der Cap-Anamur als Antrieb. Aber es funktionierte, mehr zählte für uns nicht. Die Russen blieben mit ihren Kalaschnikows am Ufer zurück, während wir langsam und lautlos nach Afghanistan hinübergierten. Ein wenig erinnerte es mich an zu Hause, an die Elbfähre bei Barby.
Auf der Fähre wurden wir bereits von zwei Mitarbeitern der Cap Anamur begrüßt, welche uns hier abholten. Rupert kannte einen der Beiden bereits. Auf der afghanischen Seite bat uns ein Mitarbeiter des Zoll dann in ein kleines Häuschen - die Grenzstation. Die Afghanen waren freundlich und zuvorkommend, ganz im Gegensatz zu ihren russischen Kollegen auf der anderen Seite des Flusses. Man nahm unsere Personalien noch einmal auf. Dann entschuldigte sich einer der beiden und verlangte von Rupert, Ulrich und mir noch einmal fünf Dollar - eine wie er sagte Gebühr für Ausländer bei Einreise in das Land. Rupert vermutete erst Korruption, aber der Afghane stellte ihm sofort und ohne mit der Wimper zu zucken eine Quittung für die fünf Dollar aus. "Bei Tadschikistan habe ich bereits alle Hoffnung aufgegeben. Aber ich will nicht, dass die Korruption auch hier in Afghanistan Fuß fasst und das Land kaputt macht.", meinte Rupert im Anschluss.  
  Wir fuhren weiter in Richtung Dashte Qua'le, dem Ziel unserer Tour an diesem Tag. Dort hatte die Cap Anamur eine Schule und ein Krankenhaus aufgebaut und dort wollten wir die Nacht verbringen. Doch zunächste standen noch einige Kilometer Fahrt vor uns. Das erste was auffiel in Afghanisten: die Hütten waren ärmliche Lehmhütten und hinter den Häusern stapelte sich der getrockenete Dung als Brennmittel. Die Menschen die wir sahen wirkten arm, aber sie lachten froh und winkten, wenn sie uns sahen. Nach gut vierzig Kilometern Fahrt dann Dashte Qua'le. Wir fuhren zur Cap Anamur, wo uns Peter, der deutsche Techniker, begrüßte.
Während wir uns bei einem Tee erst einmal mit den vier Krankenpflegern Döne, Katja, Aynur und Oliver sowie Techniker Peter unterhielten, machte Sultan ein wohl verdientes Nickerchen. Die fünf Cap-Anamur-Streiter erzählten uns von den Projekten in der Region, der Schule für 1500 Schüler in Dashte Qua'le und dem Krankenhaus sowie der Krankenstation in Khwaja Ghar (bzw. Hodscha Ghar, je nach Schreibweise). Ulrich und Rupert beschlossen, das Krankenhaus einmal zu besichtigen.  
  Ich nahm derweil an der wöchentlichen Planung der vier Krankenpfleger teil. Während Aynur und Oliver in Dashte Qua'le arbeiteten und dort die Ausbildung der Afghanen übernahmen, hatten Döne und Katja die gleiche Aufgabe in Khwaja Ghar. Da aber beide Teams oft über nur ein Buch zu bestimmten Themen verfügten, musste die Arbeit sehr gut eingeteilt werden. Während sie noch so saßen, kam derweil Peter ins Zimmer und erzählte etwas von einem riesengroßen Skorpion - es sollten doch bitte alle mit nach draußen kommen.
Der Skorpion war aber kein Skorpion, sondern der Jeep, welcher uns an der Fähre abgeholt hatte. Einer der beiden Afghanen, der eigentlich gar kein Auto fahren durfte, hatte sich trotzdem hinter das Steuer gesetzt - Regeln befolgen gehört nach zwanzig Jahren Bürgerkrieg nicht zu den Stärken des Landes. Dabei hatte er den ein halbes Jahr alten Wagen aufs Dach gelegt. Peter war stinksauer. Das Auto war wichtig für die Arbeit und die Reparatur kostete auch in Afghanistan viel Geld - das an anderer Stelle dann fehlt.  
  Döne und Katja machten sich wieder auf den einstündigen Rückweg nach Khwaja Ghar, während ich mit Aynur und Peter ins Krankenhaus fuhr. Dort trafen wir Rupert und Ulrich wieder, die sich von Feroza Bittner, der Ärztin des Krankenhauses gerade die Klinik und ihre Räumlichkeiten zeigen ließen. Einfache, aber ausreichende Krankenzimmer, ein OP-Saal, Behandlungszimmer und sogar eine komplette gynäkologische Ausrüstung sind in Dashte Qua'le vorhanden. Das nächste ähnlich gute Krankenhaus: in Kabul.
Feroza, die Ärztin, ist eine faszinierende Frau. Sie war die erste Frau in Afghanistan, die ein Medizinstudium begonnen hatte. 1965 schloss sie dies mit Auszeichnung ab. Sie bekam ein Stipendium, hätte in die USA gehen können, entschied sich aber für Deutschland. Dort studierte sie noch Chirurgie und lernte ihren Mann kennen. Sie blieb in Deutschland. Zuletzt war sie Leiterin eines Kreis-krankenhauses bei München, ließ sich aber beurlauben und ging - 63jährig - für die Cap Anamur nach Afghanistan. Rupert meinte nur: "Wo hast du dich all die Jahre versteckt? Jemanden wie dich haben wir immer gesucht."  
  Im Krankenhaus hatte ich die ersten Probleme mit der Kamera - der Staub des Landes hatte die Kontakte im Blitzschuh verdreckt, der Blitz löste nicht aus. Als ich es bemerkte, waren drei gute Motive mit Feroza bereits zu dunkel. Ulrich und Peter unterhielten sich derweil über die Vorzüge regenerativer Energien. Ulrich schlug Peter vor, doch Biogas - 1500 Schüler und 200 Patienten plus Begleitpersonen pro Tag sind eine nicht unerhebliche Menge an Biomasse - für Heizung und Stromversorgung zu nutzen. Er nannte Projekte in Indien, wo dies mit einfachsten Mitteln funktioniere.
Langsam wurde es nach dem Krankenhausrundgang wieder Zeit, zur Cap Anamur zurückzukehren. Unseren Zeitplan für diesen Abend hatten wir ein ums andere Mal über den Haufen geworfen. Und so machten wir uns dann zu Fuß auf den Weg zurück zur Unterkunft, die direkt am Dorfrand mit Blick auf die Wüste und ferne Berge neben einem staubigen Fußballfeld, wo die afghanischen Jugendlichen bis zum Einbruch der Dunkelheit kickten, liegt. Es war ein erster Moment der Ruhe an diesem Tag.  
  Kaum waren wir zu dritt und allein unterwegs, kam ein junger Mann mit einem Fahrrad auf uns zu. Er hielt uns einen Zettel hin und versuchte mit mehr als wenig Brocken Englisch uns etwas mitzuteilen. Wir entnahmen dem Zettel, dass es eine Überweisung war, und schickten ihn dann zu Feroza ins Krankenhaus, die gerade noch einen anderen Notfall hatte. Er bedankte sich, hatte uns für Ärzte gehalten. Den Rest des Weges schlenderten wir die ruhige und staubige Hauptstraße ohne weitere Unterbrechungen entlang. Lediglich eine Herde Kühe kreuzte noch unseren Weg.
Zurück bei der Cap Anamur gab es dann erst einmal ein gemeinsames Abendessen. Aynur und Feroza freuten sich riesig, Rupert persönlich vor Ort zu haben - und sie hätten uns auch liebend gerne dort behalten. Rupert und Ulrich wollten aber noch am Abend nach Khwaja Ghar weiter, welches eine Stunde entfernt lag. Vorher jedoch wollte Rupert jedoch noch einem alten Bekannten, einem Commander aus der Region, der ihm früher schon geholfen hatte, besuchen. Ich suchte derweil ein wenig Schlaf - mein Magen spielte nämlich immer noch verrückt.  
  Rupert und Ulrich waren bald zurück - der Commander war nicht zu Hause. Also beschlossen wir aufzubrechen. Doch als wir gerade gehen wollten, kam Mohammad Hassan, der Commander, noch vorbei. Also blieben wir noch ein wenig. Für Feroza sollte dieser Abend noch ein wunderschöner Abend werden. Sie schlug dem Commander vor, die Brücke, welche die Cap Anamur nach Khwaja Ghar gebaut hatte, auf den Namen "Bridge for Life" zu taufen. Er stimmte zu und machte Feroza überglücklich.
Dann hieß es Abschied nehmen - so schwer er fiel. Ein wieder munterer Sultan raste mit uns durch die Nacht. In Khwaja Ghar schlief schon fast alles. Vor dem grünen Tor der Cap Anamur hielten wir totmüde an. Wir wurden von Stephan Neumeyer, einem Mitarbeiter der Cap Anamur begrüßt. Es war mittlerweile Mitternacht und wir saßen draußen vor dem Haus und unterhielten uns noch. Dann ging es in die Extra für uns bereit gestellten Betten, wo noch zweieinhalb Stunden Schlaf auf uns warteten. Der nächste Tag sollte heiß werden, also ging es SEHR früh weiter...